Alumnus im Porträt: Michael Wagner, LL.M.

© Michael Wagner

Michael Wagner ist Erster Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Hannover und Alumnus des 2. EULISP-Jahrgangs mit Auslandsaufenthalt an der Universität Wien, Österreich.

20.07.2022 – Interview

Michael, ich habe gesehen, dass du schon im zweiten EULISP-Jahrgang den Studiengang absolviert hast. Weißt du noch, was deine ursprüngliche Motivation war, dich für das EULISP zu bewerben?

Ja, es gab tatsächlich zwei Motivationskomponenten, wenn ich das so sagen kann. Die eine war für mich, dass ich überlegt hatte, was ich noch machen kann. Ich hatte mein Studium rum, erstes Examen, und es war klar, ich erhalte eine Halbwaisenrente, die bekomme ich noch ein Jahr aufgrund meines Zivildienstes, wenn ich in dieser Zeit noch etwas studiere. Das war mal die Basis des Ganzen und dann habe ich geguckt und einen Zeitungsauschnitt entdeckt, oder genauer: meine damalige Freundin hatte den entdeckt und mir gezeigt. Da ging es eben um das EULISP, was damals noch ganz neu war. Da war gerade der erste Durchgang in Hannover vorbei. Die hatten angefangen im Herbst 1999 und dann war da ein Bericht darüber und ich fand das klang spannend. Informatik hat mich interessiert. Also die Rechtsinformatik. So ganz genau konnte ich mir damals darunter eigentlich noch gar nichts vorstellen. Aber das klang ganz spannend. Dann dachte ich ok, ein Semester Hannover, damals fand gerade die Expo statt, ein Semester London, hatte ich ursprünglich überlegt. Und da dachte ich, das mach ich jetzt einfach mal.

Wenn du dich jetzt so zurückerinnerst an dein erstes EULISP Semester. An welche Themen erinnerst du dich, was ist dir positiv in Erinnerung geblieben oder was hat dir besonders viel Spaß gemacht?

Also was mir natürlich ganz, ganz stark in Erinnerung geblieben ist, ist das Thema IT-Vertragsrecht bei Benno Heussen. Das war wirklich eine sehr gute Veranstaltung, das hat Spaß gemacht und ich habe vieles davon später nutzen können. Was ich auch ganz spannend fand war der Bereich Urheberrecht, von dem ich bis dahin gar nicht so viel Ahnung hatte. Mal so eine Basis im Urheber- und Markenrecht zu kriegen, auch unabhängig vom IT-rechtlichen Part, war sehr gut.

Ein bisschen Strafrecht war auch dabei, und natürlich der allgemeine Bereich der Rechtsinformatik, damals bei Prof. Kilian. Das war also wirklich ein sehr intensives Semester. Viel gelernt, viel gefeiert – es war eine sehr gute, intensive Zeit dieses erste Semester.

Eine andere Besonderheit des Studiengangs ist ja, dass die Zahl der Teilnehmenden meistens auf 25 Personen begrenzt ist und inzwischen ist es ja auch so, dass zwei Drittel der Studierenden entweder aus dem europäischen oder auch aus dem nicht europäischen Ausland kommen. Wie war das denn in der Zeit, als du das EULISP absolviert hast und hast du auch noch Freunde oder Bekanntschaften aus der Zeit?

Also tatsächlich hatten wir genau eine europäische Studentin dabei. Das war eine Spanierin. Mit der hatte ich später auch noch einigen Kontakt. Sie hatte ihr Programm in Spanien angefangen und hat dieses Semester, in dem ich in Hannover war, zusammen mit uns gelernt. Und ich habe dann später in Spanien einen Monat bei ihrer Tante gelebt und dort Spanisch gelernt. Von daher hat der Kontakt sich dann noch ein bisschen gehalten, bis er dann aber irgendwann im Laufe der Zeit leider abgerissen ist. Tatsächlich eigentlich zu den meisten. Ich habe noch eine Kommilitonin, die dann auch mit mir in Wien war, mit der ich immer wieder mal Kontakt habe. Aber zu den meisten anderen ist er dann im Laufe der Zeit irgendwann abgerissen. Es ist dann halt so. Es kommen Beruf und Familie. Es sind also viele Themen, die bespielt werden, die Zeit vergeht und die Leute sind verstreut. Aber ich finde es ein bisschen schade und deswegen finde ich das auch mit den Alumni hier ganz toll und ich würde mich sehr freuen, sie alle wieder mal zu sehen. Ich hatte eigentlich die Idee, nochmal zum 20. Jubiläum in unserem Studiengang zu versuchen, so ein Treffen aufzulegen, aber das hat dann mit Corona ja auch nicht mehr gepasst. Aber ich fände es schön, nochmal Kontakt zu haben, zu den Leuten von damals, das war eine sehr, sehr eingeschweißte Truppe. Zwanzig Leute waren wir ungefähr und es war ein sehr intensiver Sommer.

Du hast eben schon das Stichwort Wien genannt. Was fandest du besonders schön an deinem Aufenthalt in Wien? Und welche Inhalte aus dem Studium an der Partneruniversität sind dir besonders in Erinnerung geblieben?

Also besonders schön in Wien fand ich die Theater und die Oper und die Möglichkeit, für zwanzig Schilling – das waren umgerechnet etwa drei Mark – eine Stehplatzkarte zu bekommen, mit der man sich dann auf einen beliebigen freien Platz setzen konnte. Und anders als in Berlin oder in anderen Städten waren die Theater oder Opern meistens auch nicht überfüllt. Was den Studienteil betrifft, so muss ich ganz ehrlich sagen, war Wien damals noch nicht so stark. Ich kam aus Hannover mit großen Erwartungen und von dort war ich eine sehr hohe Qualität der Veranstaltungen gewohnt, in die ich meist sehr gerne rein gegangen bin und viel gelernt habe. Und in Wien war das IT-Recht damals noch kein wirklicher Schwerpunkt. Ich bin mir aber sehr sicher, dass sich das spätestens unter Nikolaus Forgó jetzt geändert hat, seit er in Wien ist.

Das ist anzunehmen. Würdest du das Studium an der Partneruniversität Wien auch vom Sozialen her weiterempfehlen für zukünftige Eulispianer:innen und hast du vielleicht einen Geheimtipp für das Leben in Wien?

Ja, ich kann Wien auf jeden Fall weiterempfehlen. Es war ein großartiges Semester und Wien ist eine wunderbare Stadt, in der man herrlich leben und auch wunderbar studieren kann und wie gesagt, einiges vom IT-Recht bekommt man mit und die Basis wurde sowieso schon in Hannover gelegt. Da lernt man das, was man lernen muss und hat auch noch die Masterarbeit. Und was im Ausland kommt, ist dann die Kür. Aber es ist auch nochmal die Möglichkeit, eine Mischung aus Studium und Leben zu haben für ein Semester. Das kann ich nach wie vor empfehlen. Und Wien ist, gerade was das Kulturelle und auch sonst das gesellschaftliche Leben betrifft, einfach toll. Gerade wenn Wintersemester ist und die Ballsaison beginnt. Bälle ohne Ende in der Hofburg – wenn man gerne tanzt oder auch einfach nur hinzugehen und sich die Leute anzuschauen. Man kann in Wien sehr schön ein Semester rumbringen (lacht amüsiert).

Wie sah denn eigentlich dein allererster Karriereschritt nach dem EULISP aus? Wie ging es danach für dich weiter?

Ich hab dann erstmal mein Referendariat gemacht. Und hab dann unmittelbar nach dem Referendariat ein Stellenangebot gesehen und mich drauf beworben und bin am nächsten Tag direkt auch eingeladen worden. In einer mittelständischen Anwaltskanzlei in Nürnberg und, ja, tatsächlich würde ich sagen, war das EULISP meine Eintrittskarte dort. Die haben jemanden gesucht für den Bereich Vertragsrecht, auch in puncto IT-Vertragsrecht. Und ganz allgemein jemanden, der keine Scheu vor IT hatte.

Aber im Endeffekt bist du ja dann in der Justiz gelandet. Wie kam es denn dazu, dass du von deiner anwaltlichen Tätigkeit zur Justiz gekommen bist?

Das hatte mehrere Gründe. Zum einen war es so, dass damals nicht ganz klar war, wie sich die Kanzlei weiterentwickelt. Und der zweite Punkt war ein familiärer Aspekt, weil meine Frau damals in Hannover ihr Studium zu Ende gemacht hat und ich habe mir dann Elternzeit genommen. Nebenbei habe ich dann auch mit halber Stelle das EULISP betreut. Ich hatte schon vorher Interesse an der Justiz gehabt, hier gab es nach meinem zweiten Staatsexamen aber einen Einstellungsstopp. Das war dann nach meiner Zeit am IRI nicht mehr der Fall. Und so habe ich mich nochmals beworben und bin letztendlich hier in der Justiz gelandet.

Wie kam es denn, dass du am IRI noch einmal gearbeitet und das EULISP betreut hast? Wolltest du nochmal etwas in der Wissenschaft machen oder bist du dort eher „reingerutscht“?

Ja, das war tatsächlich eine Mischung. Zunächst bin ich da eigentlich eher reingerutscht. Damals war Elternzeit noch ohne Elterngeld. Das heißt von irgendwas musste man auch leben und da war damals eine halbe Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter frei. Ich fand die Arbeit am IRI aber auch inhaltlich interessant. Und das habe ich dann anderthalb Jahre gemacht, vom Herbst 2007 bis zum Frühjahr 2009. Das war auch die Zeit, wo die stärkere Internationalisierung des EULISP begonnen hat, wo wir damals auch den DAAD-Preis bekommen haben. Dann kamen immer mehr ausländische Bewerbungen und das Programm wurde immer internationaler.

Inzwischen arbeitest du als Staatsanwalt in Hannover. Jedes Jahr werden mehr Fälle von Cyber-Kriminalität in Deutschland erfasst. Werden deiner Einschätzung nach in den kommenden Jahren mehr Fälle aus diesem Bereich schon deshalb vor deutschen Gerichten verhandelt und spielt diese Form der Kriminalität in deinem Berufsalltag eine größere Rolle? Gibt es zum Beispiel in Hannover eine Zentralstelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität?

Ich würde sagen, ja das wird zunehmen. Und ja, es gibt Zentralstellen. Die Zentralstelle für Internetkriminalität ist aber nicht bei der Staatsanwaltschaft Hannover angesiedelt. Was sicher zunehmen wird, sind natürlich alle Straftaten mit IT- oder auch Internetbezug. Ich selbst arbeite zum Beispiel bei der Zentralstelle zur Bekämpfung pornographischer, gewaltverherrlichender oder sonst jugendgefährdender Schriften. Dort ist durch den Internetbereich eine extreme Ausweitung eingetreten. Da besteht insoweit auch ein IT-Bezug, als dort der Austausch über Internet-Foren, in sozialen Medien bis hin zum Darknet stattfindet. Aber auch allgemeine Verfahren mit IT-Bezug werden deutlich zunehmen. Das betrifft alles von Ebay-Betrugsverfahren bis hin zum Identitätsdiebstahl.

Von außen betrachtet gewinnt man bisweilen den Eindruck, dass gerade dort in diesen Bereichen den Staatsanwaltschaften noch nicht genügend spezialisierte Jurist:innen zur Verfügung stehen. Das ist vielleicht ein bisschen vergleichbar mit dem Bereich der Wirtschaftsstrafsachen, wo oft der Eindruck entsteht, dass die Staatsanwaltschaften der Last der Verfahren nicht mehr gerecht werden können. Dass also zu viel Arbeit für zu wenige Staatsanwälte besteht. Deckt sich dieser Eindruck mit deinen praktischen Erfahrungen?

Ich glaube diese Sachen muss man auseinanderhalten. Das waren jetzt zwei Themenkomplexe. Das eine ist die Frage der Spezialisierung und das andere die nach der Arbeitsmenge. Was die Spezialisierung anbetrifft, ist es sicherlich richtig, dass – anders, als es vielleicht im Anwaltsbereich der Fall ist – eine Spezialisierung noch nicht so sehr Voraussetzung ist und dass – was einfach auch mit Personalkapazitäten zu tun hat – nicht immer alle Leute dort eingesetzt werden können, wo sie vielleicht idealerweise hinpassen. Aber für mich zum Beispiel ist mein EULISP-Wissen durchaus gut. Ich profitiere von einem gewissen technischen Grundverständnis, eben diese Basis aus der Rechtsinformatik, insbesondere wenn wir es bei uns in der Abteilung zum Beispiel mit Fragen rund um Rechner oder EDV-Auswertung zu tun bekommen. Es ist schon sehr hilfreich, wenn man Berichte  liest und versteht, was damit gemeint ist und man sich auch mit den Technikern der EDV-Abteilungen der jeweiligen Polizeidienststellen besprechen kann. So manches Spezialwissen erarbeiten sich die Leute übrigens auch mit der Zeit auf ihren Positionen.

Was tatsächlich ein Problem ist, und das hast du auch schon angesprochen, ist die steigende Arbeitslast in allen Bereichen. Es gibt zwar ein Personalbedarfsberechnungssystem, das sog. „Pebb§y“. Aber nach meiner Erfahrung steigt die Arbeitsbelastung über die Jahre eigentlich immer mehr an. Natürlich wirkt sich hier das Fiskalische aus und insgesamt fehlen einfach überall Stellen. Ganz schlimm wird das glaube ich in Ostdeutschland werden, wo jetzt die großen Pensionierungswellen anstehen und ganz viele Leute gleichzeitig gehen. Aber auch bei uns. Also ist es definitiv zu viel Arbeit für zu wenige Staatsanwälte.

Im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Justiz wird häufig die Einführung einer elektronischen Akte in verschiedenen Varianten für den Zivilprozess diskutiert. Gefordert wird unter anderem eine elektronische Akte zur gemeinsamen Bearbeitung durch alle Verfahrensbeteiligten. Ist das auch ein Thema im Rahmen des Strafprozesses?

Das ist definitiv ein Thema. Meines Wissens soll die elektronische Akte bis spätestens 2027 kommen. Das fängt natürlich im Zivilbereich an, weil es da am einfachsten ist, wenn etwas schief geht. Dort kann man das Verfahren wieder starten, gibt notfalls über einen richterlichen Hinweis und alles ist gut. In einem Strafverfahren, wenn ich eine Haftsache habe und die elektronische Akte stürzt ab, ich kann nicht verhandeln und muss dann vielleicht Leute aus der Untersuchungshaft entlassen, dann habe ich ein Problem. Deswegen kann das Strafrecht erst ganz zum Schluss kommen, wenn der Rest stabil läuft. Und das hoffen wir auch, dass das so geht. Ich bin da noch ein bisschen skeptisch, dass es, wenn man nicht genug Geld in die Hand nimmt, um da einmal eine vernünftige Lösung hinzubauen, wirklich gut wird und dass man die Leute, die damit arbeiten müssen, auch gut mitnehmen kann. Aber die Planungen bestehen und man ist auch zuversichtlich, dass man das hinkriegt. Warten wir es mal ab.

Ganz ähnliche Probleme stellen sich auch im Rahmen der OZG-Umsetzung. Wichtig ist, dass man hier einen gemeinsamen zentralen Ansatz erreicht und ein bisschen von diesen Insellösungen Abstand nimmt.

Ja, so ist es dann halt unpraktisch. Es gibt ja zum Beispiel den sogenannten badischen Aktenknoten, in bestimmten Teilen von Baden-Württemberg wird der verwendet. Das heißt, die Akten werden nicht gelocht und geheftet, sondern oben links mit einem Band zusammengebunden, durch ein Loch mit einem speziellen Knoten, der irgendwie vertüddelt ist und den man auch aufmachen kann, um neue Blätter einzuheften. Das kann man aber nur, wenn man in Baden aufgewachsen ist in der Justiz, denn da lernt man das erste halbe Jahr, diesen Knoten zu machen. Also sprich, wenn die Akten zu uns kommen, dann wird der Knoten einfach durchgeschnitten. Die Akten werden gelocht, in unseren Aktendeckel geheftet – kein Problem. Ich bin mir nur nicht ganz so sicher, ob das dann auch mit den elektronischen Akten so klappt. Denn die müssen dann ja auch abgegeben werden können, bundesweit.

Ich sehe da noch viele technische Hürden und bin gespannt, wie die genommen werden. Gleichzeitig sehe ich aber auch sehr viele Chancen. Das ist eine super Sache, wenn das wirklich gut gemacht ist, gerade im Zivilbereich. Dann kann man z.B. ganz schnell Klägervortrag und Beklagtenvortrag gegenüberstellen. Die markiert man mit verschiedenen Farben, lässt sich einen automatischen Aktenauszug machen. Man kann Akteneinsicht gewähren im Strafrecht. Jeder kann auf seinen Akten Notizen hinzufügen, auf Layern, die der Akte übergeordnet sind. Also wenn das umgesetzt wird, wie das heute bereits technisch möglich ist, kann jeder seine Notizen in die gleichen Akten schreiben, ohne dass die Akten verändert werden und ohne dass jemand anderes sieht, was man sich notiert. Die Technik birgt auch viele Chancen, um die Verfahren erheblich zu beschleunigen. Und mit elektronischen Akten könnte man auch besser im Home Office arbeiten, wo man jetzt nicht immer jeden Tag einen Koffer voll Akten hin und her karren kann.

Zumal Strafakten mit sich rumzutragen immer auch ein gewisses Risiko birgt.

Das kommt auch noch hinzu. Aber schon rein vom praktischen Ablauf ist das bislang sehr mühsam. Ich bin zuversichtlich, dass, wenn man genügend Geld investiert, die E-Akte gelingen wird und eine vernünftige Lösung dabei rauskommt.

Dann komme ich noch einmal zurück zum EULISP für unsere Schlussfrage und die lautet: Rückblickend, welche Bedeutung hat das EULISP für deine Karriere?

Ich würde sagen, dass das EULISP für mich der Startschuss war, weil ich ohne das EULISP, glaube ich, meinen ersten Job nicht bekommen hätte. Dann wäre vieles anders verlaufen. Deswegen kann ich mir das gar nicht wegdenken. Ohne das Programm wäre mein ganzes Leben anders verlaufen. Das EULISP ist für mich ein elementarer Baustein meines beruflichen Lebens, genauso wie meine Examina, also ein entscheidender Baustein, der sich bis heute, auch wenn ich jetzt nicht mehr extrem IT-spezifisch arbeite, auf meinen Karriereweg auswirkt.